Beim
Reisen lernt man ja oft mehr über sich selbst als einem lieb ist.
Wenn sich Harald
Martenstein in Berlin schon freut, morgens bei der Fahrt zur Arbeit
auf dem Rad nur zweimal als Arschloch beschimpft zu werden, könnte
der Kontrast zum Leben in Spanien kaum größer sein.
Als
Deutscher, der in dieser Hinsicht auch einiges an Boshaftigkeiten
gewohnt ist (und sicher auch selbst seinen Teil dazu beiträgt),
finde ich die hohe spanische Toleranz gegenüber langsameren
Mitmenschen, ob im Auto, auf dem Rad oder im Supermarkt,
bemerkenswert. Man ist in diesen Dingen demonstrativ
entspannt.
Pöbelei und grobes Foulspiel speziell beim
nervtötenden Warten in größeren Menschenmengen habe ich in Spanien
nie erlebt. In Deutschland gehören diese Phänomene beim Einkaufen
oder am Bahnhof ja fast irgendwie dazu. Dass sich Kunden in
Geschäften, Bars oder bei der Bahn lautstark beschweren oder gar
unverschämt werden, ist in Spanien schwer zu finden. Mitmenschen die
eigene schlechte Laune – “mala leche” – spüren zu lassen,
ist verpönt. Der kontrast zu Deutschland scheint hier deutlich –
das ist aber nur ein Baustein für die manchmal etwas angespannte
Atmosphäre im Umgang “auf der Straße” und im Alltagsleben
dahoim. Die umstände führen bei mir jedenfalls zu oft zu ungesundem
Spannungsaufbau.
Meine längst zur Gewohnheit gewordene Anspannung
im deutschen Alltag wurde mir in Spanien zum Beispiel sehr bewusst,
als ich ein Straßenfest in Madrid besuchte, hier ein Foto der Feiern
im Viertel “La Latina” zu Ehren der “La Virgen de la Paloma”,
16.08.2014.

Zugegebenermaßen
bin ich in Menschenmengen meistens emotional überfordert oder
übersensibel, halte die Ellbogen im Anschlag in einer Art
permanenter innerer Verteidigungshaltung – sehr unentspannt das
alles – und vermutlich auch stark lebensverkürzend.
Am
Essensstand beim Straßenfest war dann allerdings auch niemand, der
sich mehr oder weniger elegant vor mich schob, wie es in Deutschland
immer passiert. Und als das einmal im Bahnrestaurant und einmal in
einem Zeitschriftenladen passierte, achteten die Verkäufer peinlich
darauf, die richtige Reihenfolge einzuhalten, obwohl sich seitwärts
der Schlange jemand vorbei gedrängelt hatte und mit Blicken und
Gesten auf sich aufmerksam machte. In Deutschland führt das meistens
zum Erfolg. Vielleicht waren es Zufälle, ich glaube eher
nicht.
Diese Grobheit, bewusst zu drängeln, scheint mir in
Deutschland sozial eher akzeptabel und von vielen mehr als eine Art
von cleverer Durchetzungsfähigkeit betrachtet zu werden – ebenso
wie eben das Drängeln auf Autobahnen und Radwegen eben, wie es
Martenstein so gut beschreibt.